Endlich: Boby ist mit seinen Sorgen nicht mehr allein.
Der knuddelige Plüschhund Boby soll Kindern alkoholabhängiger Eltern eine Botschaft überbringen: Dass Alkoholismus kein Tabu ist und dass Hilfsangebote existieren.
Bobys Schicksal ist es, dass sein Herrchen Fred manchmal vergisst, ihn zu streicheln oder gar zu füttern. Der Plüschhund mit dem treuherzigen Blick aus grossen Augen weiss nicht, wieso sich Fred manchmal nicht um sein Wohl kümmert.
Boby glaubt, dass er etwas falsch gemacht hat. Und weil sich der Hund dafür schämt, erzählt er niemandem von den Problemen mit Fred.
Dann hört Boby, wie Kollege Felix vom Schicksal eines anderen Hundes und von dessen Frauchen erzählt. Felix sagt weiter, dass die herumstehenden leeren Flaschen in der Küche darauf hindeuteten, dass Fred krank sei. Da realisiert der gute Boby, dass nicht er Auslöser der Probleme ist.
Auch Postzentren machen mit
Herausgeberin der 2006 erschienen Geschichte Bobys ist die Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA). Die Geschichte lehrt Kinder alkoholabhängiger Eltern, dass nicht sie Schuld an der Situation sind, und dass Hilfe möglich ist.
Um auf die schwierige Lage der Kinder insbesondere zwischen fünf und acht Jahren aufmerksam zu machen, hat die Fachstelle mit Boby Mitte November eine Informationsoffensive lanciert. Neben dem Boby-Büchlein setzen die Fachleute von der Präventionsfachstelle SFA auf Postzentren. Dort wartet Boby in Form von Schlüsselanhängern auf junge und ältere Herrchen und Frauchen.
Ein beliegender Flyer informiert über Schwierigkeiten im Zusammenleben mit einer alkoholabhängigen Person und schildert die Situation betroffener Kinder.
Die Macht des Tabus
Die Fachstelle geht davon aus, dass in der Schweiz 100’000 Kinder leben, von denen ein Elternteil oder beide Elternteile alkoholabhängig sind.
Probleme, die sich daraus ergeben, sind aber in den allermeisten Familien ein Tabu. “Wir wollen das Schweigen brechen”, sagte SFA-Direktor Michel Graf bei der Vorstellung der Kampagne.
Die Auswirkungen der Sucht von Eltern kann für die Kinder verheerend sein. “Wie Boby können sie nicht verstehen, weshalb die Eltern starke Stimmungsschwankungen haben und einmal deprimiert, einmal aggressiv sind”, so Graf.
Fehlermuster nicht wiederholen
Das Problem könne sich auf vielerlei Weise äussern, sagt Monika, deren Vater Alkoholiker war, wie auch später ihr Ehemann.
“Als Kind hatte ich Probleme mit meiner Mutter. Sie tat alles, um die Alkoholprobleme des Vaters zu vertuschen”, erzählt die Frau gegenüber swissinfo.ch. “Ich erlebte sie entweder traurig oder wütend. Sie musste viele Dinge ausbügeln, die eigentlich Sache des Vaters gewesen wären. Dabei war sie stets bemüht, gegen aussen das Bild einer intakten Familie zu vermitteln.” Das habe die Mutter überfordert und in Depressionen gestürzt.
Ironischerweise, so Monika, sei ihr Vater immer sehr lieb zu ihr gewesen, “wahrscheinlich, weil er sich schuldig gefühlt hatte”. Als Kind habe sie immer das Gefühl gehabt, dass in der Familie etwas anders sei, “aber ich hätte nicht sagen können, was es sei”.
Selber Mutter geworden, habe sie exakt dieselben Fehler begangen wie ihre Mutter. “Erst als ich wegen Eheproblemen Hilfe suchte, begann ich, mit meinen Kindern offen über Alkoholismus als Krankheit zu sprechen”, schildert Monika.
Sensibilisierung
Das Büchlein mit Bobys Geschichte wurde in der Schweiz in Krippen und Kindergärten verteilt. Damit ist aber bei Weitem nicht sichergestellt, dass die Publikation in diejenigen Kinderhände kommt, welche die Hilfe am dringendsten benötigen.
Hilfe ist aber auch indirekt möglich, indem jemand für die Problematik sensibilisiert wird und die Helferrolle von Hundekollege Felix in der Boby-Geschichte übernehmen kann.
Dies ist der Grund, weshalb die Fachstelle für die Kampagne die Post als Partner wählte. Poststellen als gut frequentierte Orte sind besonders geeignet, um möglichst viele Menschen auf das Thema aufmerksam zu machen.
Problem lange unerkannt
Lange wurden die Probleme von Kindern alkoholkranker Eltern weitgehend ignoriert, sagt Irene Abderhalden von der SFA.
Weil Eltern das Beste für ihre Kinder wollen, fällt ihnen das Eingeständnis von Problemen oft sehr schwer. Viele fürchteten, dass die Behörden ihnen die Kinder wegnehmen. Deshalb müssten Hilfsangebote besonders sorgfältig aufgebaut sein.
Im nächsten Jahr startet im Kanton Aargau ein Pilotprojekt, das von der SFA und der Aargauer Stiftung für Suchthilfe initiiert wurde. Das Angebot umfasst einerseits Diskussionsgruppen für Kinder zwischen 8 und 15 Jahren, andererseits Informationen und Kurse für betroffene Eltern.
Die Erfahrungen aus dem Aargauer Projekt sollen als Grundlage für ähnliche Angebote in anderen Kantonen dienen.
Wenn schon nur 20 Prozent der betroffenen Kinder im Projekt mitmachten, wäre das als sehr gutes Resultat zu werten, so die SFA-Experten.