Militärgericht: Alter Zopf oder Fachinstanz wie ein Arbeitsgericht?
Die Bergführer, die 2007 an der Jungfrau 6 Rekruten in den Tod führten, sind vor Gericht nicht schuldig. Das Urteil eines Armeegerichts in Chur sorgt in der Schweiz einmal mehr für Fragen nach Berechtigung und Unabhängigkeit der Militärjustiz.
Die beiden Bergführer, ein militärischer und ein ziviler, hatten im Sommer 2007 mehrere Seilschaften mit Angehörigen der Schweizer Armee auf einer Tour auf die Jungfrau begleitet. Dabei löste sich eine Lawine, fünf Soldaten und ein Unteroffizier wurden in den Tod gerissen.
Nun hat das Militärgericht 7 in Chur am Freitag die beiden angeklagten Bergführer freigesprochen. Sorgfaltswidriges Handeln sei nicht nachweisbar. Die sechs Wehrmänner seien Opfer einer heimtückischen Schwachschicht in der Schneedecke geworden. Die Anklage hatte je neun Monate bedingt gefordert.
Kritiker der Militärjustiz nehmen den Prozess von Chur zum Anlass, erneut deren Abschaffung zu fordern. Ihr Argument: Militärgerichte sind Sondergerichte und als solche dem Prinzip der Gewaltentrennung in der Schweizerischen Demokratie unwürdig.
Relikt aus dem Söldnerwesen
Alt Ständerat Otto Schoch, der schon 1990 als Leiter der damaligen Arbeitsgruppe Armeereform die Abschaffung der Militärjustiz gefordert hatte, hat seine Meinung bis heute nicht geändert. Als Jurist kennt Schoch nicht nur die Materie bestens, als passionierter Bergsteiger sowie ehemaliger Alpinoffizier der Armee ist er auch mit den Gefahren und Risiken in den Schweizer Alpen vertraut.
Die Schweiz sei fast das letzte Land Europas, das noch eine Militärjustiz habe, sagt der Appenzeller. “Das Instrument stammt noch aus der Zeit, als die Eidgenossenschaft Söldnerheere ausschickte. Da drängte sich auf, dass ein Militärgericht in Neapel tagen konnte.” Heute aber habe die Schweiz keine Offensivarmee mehr, so Schoch.
Trotz seiner grundsätzlichen Kritik glaubt er nicht, dass sich der Prozess von Chur eignet, die Frage nach der Militärjustiz zu stellen. “In diesem speziellen Fall hätte ein ziviles Gericht genau gleich geurteilt wie ein Armeegericht”, ist Schoch überzeugt.
Die Opfer hätten sich nicht in einer militärischen Befehlssituation befunden, sondern seien aus freiem Willen zur Jungfrau-Tour aufgebrochen. “Andere Soldaten hatten sich angesichts der Verhältnisse für den Mönch entschieden.”
Notwendige Fachgerichte
Im Gegensatz zu Otto Schoch ist die Militärjustiz für Max Frenkel kein alter Zopf, der abgeschnitten gehört. “Die Militärjustiz ist eine Spezialjustiz wie ein Arbeits- oder Mietgericht”, sagt der ehemalige Journalist der Neuen Zürcher Zeitung, der auch je vier Jahre als Gerichtsschreiber und Untersuchungsrichter an einem Armeegericht geamtet hatte.
Spezialgerichte müssten Fälle beurteilen, die eine besondere Sachkenntnis verlangten. “Die Richter, die übrigens nur teilweise Angehörige der Militärjustiz sind, kennen den Ablauf eines Diensttages und wissen, was einem Soldaten zuzumuten ist”, sagt Frenkel.
Dass Militärgerichte anders, sprich milder, urteilten als Zivilgerichte, stellt er nicht in Abrede. “Weil die Militärrichter ‘den Laden’ kennen, wissen sie, dass ein Fahrer in der Armee eine Fahrt nicht so einfach verweigern kann wie ein ziviler Chauffeur. Ich behaupte deshalb, dass Soldaten mit der Militärjustiz besser fahren als mit zivilen Gerichten”, so Frenkel.
Doch die besondere Innensicht sei nicht mit mangelnder Unabhängigkeit gleichzusetzen.”Militärgerichte sind unabhängig wie jedes andere Fachgericht. Der militärische Untersuchungsrichter ist ein König, dem niemand sagt, was er zu tun hat.”
Aber ohne Fehl und Tadel ist die Militärjustiz auch für den Publizisten nicht. “Die Strafjustiz, ob zivil oder militärisch, ist in der Schweiz unanständig langsam. Die Verfahren sollten rascher ablaufen.” Es sei ein Problem, wenn Angeschuldigte erst ein paar Jahre nach einem Vorfall vor Gericht kämen, sagt Max Frenkel.