Während der Konflikt mit Libyen anhält, liegt das Augenmerk auf den Genfer Ermittlungen über die Publikation von Polizeifotos von Hannibal Gaddafi. Laut Staatsanwalt Zappelli wird der Fall “prioritär” behandelt, die Untersuchung sei aber kompliziert.
“Wir sind nah an der Überwindung der Krise, auch wenn die Schweiz die Hauptschuld dafür trägt, dass die Vereinbarungen zur Beilegung der Differenzen nicht umgesetzt wurden”, erklärte der libysche Aussenminister Moussa Koussa letzte Woche vor Journalisten in der libyschen Stadt Sirt. Libyen verlangt, dass in der “Hannibal-Affäre” ein internationales Schiedsgericht eingesetzt wird. Dieses soll untersuchen, wie Polizeifotos von Hannibal Gaddafi in die Schweizer Presse gelangten. Vergangenen September waren zwei Fotos von Hannibal, dem Sohn des libyschen Revolutionsführers Muammar Gaddafi, in der Genfer Zeitung Tribune de Genève veröffentlicht worden. Sie sollen am 15. Juli 2008 nach der Festnahme von Hannibal Gaddafi durch die Genfer Polizei aufgenommen worden sein. Dem Libyer und seiner Frau wurde die Misshandlung von Dienstboten vorgeworfen. Zwei Tage später wurde Hannibal Gaddafi aus der Haft entlassen, der Streit zwischen den beiden Ländern eskalierte jedoch. Vor kurzem rief der libysche Staatschef gar zum “Heiligen Krieg” gegen die Schweiz auf. Und letzte Woche verhängte Libyen ein totales Wirtschaftsembargo gegen die Schweiz.
Suche nach dem Schuldigen
Auch der Schweizer Geschäftsmann Max Göldi, der zur Zeit in einem Gefängnis in Tripolis eine viermonatige Strafe wegen Visa-Vergehen absitzt, erwähnte letzte Woche die Publikation der Polizeifotos. ”Die Schweiz muss Hannibal Gaddafi zugestehen, von seinem Recht Gebrauch zu machen.” Die Veröffentlichung von Hannibals Polizeifotos war unakzeptabel und gegen das Gesetz”, sagte Göldi gegenüber Journalisten. Wegen der Publikation der Fotos reichte Hannibal vergangenen Dezember 2009 Klage gegen ein. Er verlangt vom Kanton Genf und der Tribune de Genève eine Entschädigung. In einem Interview mit der Genfer Zeitung Le Temps von letzter Woche erklärte der Genfer Staatsanwalt Daniel Zappelli, die Untersuchung sei “prioritär”, doch der “monumentale” Job, jene Person zu finden, die der Tribune de Genève die Fotos zugeschickt habe, sei für die Schweizer Ermittler äusserst kompliziert. ”Die Untersuchungen, die auch Computernetzwerke und E-Mail-Verkehr einschliessen, werden durch die Gesetzgebung und die technischen Mittel erschwert”, erklärte er.
Datenschutz steht im Weg
Seit der Fichenaffäre in den 1980er-Jahren, als Daten von fast einer Million Personen und Organisationen in der Schweiz gesammelt worden waren, hat das Land den Datenschutz für seine Bürgerinnen und Bürger massiv verbessert. Im Gegensatz zu anderen Ländern werden nach Schweizer Recht nachträgliche Telefonüberwachungen nur für sechs Monate gestattet. Sie sind auch nicht erlaubt, wenn sie offizielle Geheimnisse verraten sollten. Und das Computersystem der Genfer Polizei kann zwar feststellen, wer die Dateien angeschaut hat, doch haben viele Leute Zugang dazu. ”Die Fotos wären viel einfacher zu finden, wenn sie per E-Mail gesendet worden wären. Doch bis ein spezielles System installiert ist, können auf einen USB-Stick kopierte Fotos nicht verfolgt werden”, erklärte Sicherheitsexperte Sebastien Fanti gegenüber swissinfo.ch. ”Um herauszufinden, wer die Fotos verschickt hat, braucht es forensische Computerexperten. Doch von diesen gibt es in der Schweiz nur sehr wenige. Die Untersuchungen dürften ein Jahr dauern.” Die Tribune de Genèveihrerseits wurde von den Ermittlern bisher nicht kontaktiert, doch sie stellte bereits klar, sie werde ihre Quelle in Einklang mit dem Schweizer Recht nicht preisgeben. ”Im gegenwärtigen Kontext sieht es danach aus, dass diese Fotos eher als Vorwand in einer orchestrierten Strategie dienen und nicht als entscheidendes Element”, erklärte Tribune-Chefredaktor Pierre Ruetschi in einem Interview mit der Zeitung Le Temps.
” Genf hält einen der Schlüssel für die Lösung dieser Krise in Händen. Wie lange noch wird es diese Tatsache wissentlich ignorieren? ”
Marcelo Kohen, Graduate Institute Genf
Druck umlenken
Derweil versucht die Genfer Regierung, den Druck von aussen umzulenken. “Die Regierung kommentiert die täglichen Episoden in dieser Affäre nicht, solange eine Schweizer Geisel in Libyen festgehalten wird”, sagte der Genfer Regierungspräsident François Longchamp gegenüber der Presse. Er gab zu bedenken, dass die Regierung ihre Position bereits bekanntgegeben habe, indem sie die Veröffentlichung der Fotos “verurteilt” und mehrmals erklärt habe, das Leck sei “untragbar”. ”Wegen der Gewaltenteilung liegt es an der Justiz, die Ermittlungen in diesem klaren Bruch offizieller Geheimnisse durchzuführen, und dies gründlich zu tun”, ergänzte er. Doch Marcelo Kohen, Professor für internationales Recht am Genfer Graduate Institute, übte Kritik: “Man kann nicht einfach sagen, ‘Wir warten auf die Ergebnisse der Untersuchung’. Der Kanton Genf hat einen Fehler gemacht und sollte dafür die Verantwortung übernehmen.” Er ist der Meinung, die Krise könnte durch eine Aufhebung der beidseitigen Visa-Restriktionen gelöst werden. Laut Kohen wäre auch förderlich, wenn sich Genf in der Foto-Affäre seiner Verantwortung stellen und ein Schiedsgericht einsetzen würde, das die Festnahme Hannibals untersucht. ”Genf hält einen der Schlüssel für die Lösung dieser Krise in Händen. Wie lange noch wird es diese Tatsache wissentlich ignorieren?”, fragt er.
swissinfo.ch