Gleich nach den Steuern sind es Krankenkassen-Prämien, die Menschen in der Schweiz in Zahlungsverzug bringen. Für die Betroffenen ein Teufelskreis
Kleinkredite, Autoleasing, Kredithaie – das waren jahrelang die Feindbilder der Schuldenberater. Barkredite waren die zweithäufigste Schuldenkategorie, direkt nach den Steuern. Doch bei den Schuldenberatungsstellen melden sich immer mehr Menschen, die ihre Krankenkassenprämien nicht mehr bezahlen können. Mittlerweile sind die Prämien der zweithäufigste Grund für Zahlungsrückstände, schreibt die «SonntagsZeitung».
Schmerzensgrenze für viele erreicht
Das zeigen die Erhebungen des Bundesamts für Statistik und der Schuldenberatung Schweiz, des Dachverbands der 38 regionalen Schuldenberatungsstellen. Die steigenden Gesundheitskosten werden zum Problem. «Die Personen mit kleinem Einkommen bis weit in die Mitte der Mittelschicht werden dadurch jedes Jahr ärmer. Die Schmerzgrenze ist für viele Haushalte überschritten», sagt Sébastien Mercier, Geschäfts-leiter der Schuldenberatung Schweiz, gegenüber der «SonntagsZeitung». 6,4 Prozent der Bevölkerung leben in einem Haushalt, der mindestens einmal die Krankenkassenprämien nicht rechtzeitig bezahlen konnte. Vor zwanzig Jahren standen nur 17 Prozent der Klienten der Berner Schuldenberatung bei ihrer Krankenkasse in der Kreide. Heute sind es schon mehr als die Hälfte. Die Betroffenen stecken in der Falle: Sie können erst zu einer billigeren Kasse wechseln, wenn sie alles zurückgezahlt haben.
Die Lage in den letzten Jahren verschärft
Die jährliche Erhöhung der Krankenkassenprämien verbunden mit der Reduktion der Prämienverbilligungen in den Kantonen habe die finanzielle Lage für Menschen mit tiefen Einkommen in den letzten Jahren verschärft, sagte Sébastien Mercier von der Schuldenberatung Schweiz auf Anfrage der Handelszeitung. Er bestätigte damit einen Artikel in der «Sonntagszeitung». Am meisten betroffen sind sogenannte Working Poor, also Personen, die trotz einer Anstellung unter der Armutsgrenze leben müssen: 72 Prozent von ihnen haben Krankenkassenschulden. «Hätten die Prämienverbilligungen die gewünschte Wirkung, dürfte das eigentlich nicht der Fall sein», sagte Mercier.
Schuldenspirale
Die möglichen Gründe, warum sich Menschen wegen nicht bezahlten Krankenkassen-prämienverschulden, sind vielfältig: Trennungen oder Scheidungen, Arbeitslosigkeit, Krankheit, aber auch die Geburt von Kindern.
Denn bei Menschen mit tiefen Einkommen können bereits die geringsten finanziellen Verschlechterungen in die Schuldenfalle führen: «Ist jemand krank und arbeitslos, verliert er plötzlich 20 Prozent des Einkommens», sagte Mercier.
Preiserhöhungen nur schwer verkraftbar
Auch wenn die Kinder in Ausbildung das 18. und später das 25. Lebensjahr erreichen und deren Prämien plötzlich stark ansteigen, sei das für Menschen mit tieferen Löhnen schwer zu verkraften, sagte Mercier. Als erstes verzichten diese Personen in der Regel auf die Bezahlung der Steuern. Danach folgen die Krankenkassenprämien. «Und wenn gegen eine Person eine Betreibung läuft und der Lohn gepfändet wird, kann diese in der Regel die laufenden Rechnungen nicht mehr bezahlen», sagte Mercier. In der Berechnung des Existenzminimus würden in diesem Fall nur anerkannte Ausgaben berücksichtigt. Die Prämien gehören theoretisch auch dazu, aber nur solange sie bezahlt werden – wie auch die Miete oder die Alimente. Und wer die Steuererklärung gar nicht ausfüllt, der hat auch kein Anrecht auf Prämienverbilligungen..
Tijana Nikolic