Nach den zwei schwersten Militärunfällen der letzten Jahre stehen ein Offizier und zwei Bergführer wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Bei einem Bootsunglück waren 2008 fünf, beim Unfall an der Jungfrau 2007 sechs Armeeangehörige umgekommen.
Die Hauptverhandlung gegen den Kompaniekommandanten im Fall des Bootsunfalls auf der Kander findet am Dienstag und Mittwoch vor dem Militärgericht in Thun statt. Bei der Bootsfahrt auf der Kander vom 12. Juni 2008 waren zehn Angehörige einer Lufttransport-Sicherungskompanie verunglückt. Fünf Menschen – darunter der Kompaniekommandant – überlebten, vier Männer wurden tot geborgen. Ein Armeeangehöriger wird seither vermisst.
Die militärischen Untersuchungsbehörden befanden, dass die Bootsfahrt schlecht vorbereitet war und die daran beteiligten Soldaten – alle aus einer Lufttransport-Sicherungskompanie – in diesem Bereich unerfahren waren.
Der Untersuchungsbericht hält fest, dass vor der Bootsfahrt auf der Kander offenbar keine Vorabklärungen gemacht und keine allfälligen Sicherheitsmassnahmen vorbereitet wurden.
Der Auditor des Militärgerichts hat Anklage gegen den verantwortlichen Kompaniekommandanten wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung, mehrfacher fahrlässiger Körperverletzung, mehrfacher Verletzung von Dienstvorschriften und Missbrauch und Verschleuderung von Material erhoben.
Gefängnisstrafe?
Silvia Schenker, Sprecherin der Militärjustiz, sagte gegenüber swissinfo.ch, gemäss Militärstrafgesetz könne für fahrlässige Tötung eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Busse ausgesprochen werden. Das Urteil des Militärgerichtes wird am Mittwochabend erwartet.
“Es gibt in der Schweiz keine speziellen Militärgefängnisse. Urteile von Militärgerichten werden von den entsprechenden Kantonen vollzogen”, so Schenker. Das Gericht in Thun wird von einem Panel von fünf Militärrichtern geleitet.
Auch gegen den Vorgesetzten des Kompaniekommandanten, den Kommandanten der Lufttransportabteilung 3, war zunächst ermittelt worden. Der Auditor kam jedoch zum Schluss, dass ihm kein strafbares Verhalten vorgeworfen werden könne.
Kurz nach der Kander-Tragödie musste der Chef der Schweizer Luftwaffe, Walter Knutti, zurücktreten. Obwohl der Rücktritt keinen direkten Zusammenhang mit dem Unfall auf der Kander hatte, war im Verlauf der Untersuchungen des Falls aufgedeckt worden, dass Knutti Beförderungen von Offizieren unterstützte, deren Akten er gar nicht eingesehen hatte.
Zwei Wochen vor der fatalen Kander-Expedition hatte Knutti eine Beförderung jenes Offiziers abgesegnet, der nachher den Kander-River-Rafting-Trip organisierte. Dies obwohl der Kandidat das für die Beförderung notwendige Mindestalter von 30 Jahren noch nicht erreicht hatte.
Ein Schicksalstag
Der definitive Entscheid, die River-Rafting-Expedition auf der Kander zu machen, wurde erst am Morgen des 12. Juni 2008 gefällt, dem Tag des Unfalls. Um 11.30 erfolgte der Alarm. Zwei Schlauchboote waren im Fluss gekentert, dessen Fliessgeschwindigkeit mit 40 Kubikmeter pro Sekunde aussergewöhnlich hoch war.
An diesem Tag wurden in der Region laut Meteoswiss allerdings keine Sturmwinde verzeichnet, die den Flusslauf hätten beschleunigen können. Bewohner der Region sagten aber gegenüber swsissinfo.ch, zur Zeit des Unfalls sei der Wasserstand der Kander sehr hoch gewesen, und der Flussabschnitt, in dem der Unfall passierte, habe für das River-Rafting als besonders gefährlich gegolten.
Kommerzielles River-Rafting war laut Radioberichten zur Zeit des Unfalls an dieser Stelle verboten.
Zum “Zeitvertrieb”
Der Kander-Unfall, der sich weniger als ein Jahr nach dem Lawinenunglück an der Jungfrau mit sechs toten Soldaten ereignete, brachte die Diskussion über die Rolle der Schweizer Armee erneut ins Rollen. Alle körperlich gesunden Männer zwischen 20 und 36 Jahren werden in die Milizarmee aufgeboten. Das Verteidigungsministerium hat ein Jahresbudget von 4,5 Milliarden Franken.
Nach der Kander-Tragödie schrieb die Genfer Zeitung Le Temps, viele Offiziere gäben offen zu, dass in der Schweizer Armee Probleme mit Soldaten existierten, die nicht genügend zu tun hätten. Deshalb würden alle erdenklichen, nicht bewilligten Übungen unternommen, um “die Zeit totzuschlagen”.
Die pazifistische Organisation Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) ist eine langjährige Kritikerin der Armee. Die GSoA kämpft für die Abschaffung der Schweizer Armee. Die Einsparungen, die sich daraus ergeben würden, möchte die Gruppe verwenden für zivile Konfliktlösungs-Initiativen im In- und Ausland.
“Wenn man die Aktivitäten der Armee betrachtet, wie zum Beispiel Unterstützung bei Sportanlässen, dann kann man sehen, dass verzweifelt etwas gesucht wird, was man tun könnte”, sagte Adrian Seiler von der GSoA gegenüber swissinfo.ch.
“Die Zeiten haben sich geändert, nicht aber die Armee”, fügte der GSoA-Mann bei.
Clare O’Dea, swissinfo.ch