“Alle Leute müssten das wissen, nicht nur die Freaks”, dachte der Basler Zoologe, wenn er wieder etwas über Tiere gelesen hatte. So machte es sich der heute 73-Jährige zur Aufgabe, den Menschen die Tierwelt näher zu bringen.
Wissen Sie, warum Zebras Streifen haben? Jörg Hess weiss es.
Und er kennt noch viel mehr spannende und skurrile Geschichten aus der Tierwelt.
Der Basler ist Zoologe und hat in der Schweiz während Jahren eine beliebte Tierkolumne publiziert, in der er von der Mücke bis zum Elefanten über zahlreiche Tiere und ihre Eigenarten berichtet hat.
Sein Büro in einem ehemaligen Konvent am Rheinufer erinnert an die Klause eines Wissenschafters alter Schule.
Türme von Büchern stehen rund um ein Holzpult, die Wand ist voller Bilder und Skizzen von Tieren.
Dazwischen ein Schädel, Vogelnester, Plastik-Gorillas und zahlreiche andere Memorabilien.
Trotzdem wirkt das Arbeitszimmer geordnet, so wie auch Hess seine Gedanken sehr strukturiert zusammenfasst. Und immer schickt er voraus, dass seine Antwort “nicht die ganze Wahrheit oder Geschichte” ist.
“Erstens einmal bin ich von der Gestaltungskraft der Natur, die uns bei Tieren unter anderem entgegentritt, ungeheuer fasziniert”, erzählt er. Praktisch alles, was erfunden oder entwickelt werde, existiere in der Natur bereits in irgendeiner Form – seit Millionen von Jahren. “Das ist eine gewaltige Attraktion für mich.”
Zweitens interessiere ihn die Frage “was ist lebendig sein?”, sowohl für den Menschen wie auch für jedes Tier. “Leben ist Leben”, betont er. Dabei gebe es keine vorherrschende Stellung für den Menschen.
“Jedes Tier und jedes Wesen hat seine Stärken. Die sind abgestimmt und eingepasst auf seine Lebensweise, auf seinen Lebensraum. Und dann entstehen die spannenden Geschichten.”
Der Beobachter
Und schliesslich verweist Hess auch noch auf einen persönlichen Aspekt, warum er aufs Tier gekommen ist. “Ich habe immer das Gefühl gehabt, ich müsse beobachten. Beobachten ist eine Leidenschaft, vielleicht sogar gelegentlich eine Manie”, sagt er.
“Irgendwo sitzen, etwas erwarten, was dann möglicherweise geschieht und dann registrieren, was geschieht und schauen, wie sich die Szene entwickelt.”
Sein Werdegang war schon in der Kindheit vorgezeichnet. Zwar trug er “nie Würmer in den Hosentaschen”, wie er lachend sagt. “Aber ich hatte einen Vater, der sehr Tier-orientiert war. Ich war mit ihm oft im Wald. Er hat gerne beobachtet. Ich denke, dort sind Weichen gestellt worden.”
Tiere beobachten. Das wollte er. Und lieber war er draussen in der Natur, als sich im Studierzimmer mit Tabellen und Präparaten zu beschäftigen. Nach dem Zoologie-Studium kam er daher ziemlich bald auf den Affen, genauer gesagt, auf die Flachland-Gorillas im Basler Zoo. Er spezialisierte sich auf die frühe Beziehung zwischen Mutter und Kind.
Mit Gorillas im Nebel
Diese Gorillas im Zoo sollte er schliesslich über 40 Jahre lang begleiten. Aber er wollte die Tiere auch in der Wildnis sehen. 12 Jahre lang ging er jeden Sommer nach Ruanda. “Das waren immer Kurzaufenthalte.” Höchstens drei Wochen Beobachtungs-Aufenthalt habe er sich jeweils leisten können, betont Hess.
“Und dann kam die Einladung von Dian Fossey, auf ihrer Station zu sein und länger zu bleiben.” Fossey gilt noch heute als die Gorilla-Forscherin schlechthin. Hess konnte bei ihr 7 Monate lang in den ruandischen Virunga-Bergen die Mutter-Kind-Beziehung bei den Berggorillas beobachten – einer der Höhepunkte seines Lebens.
“Es war sehr spannend, weil es in der Familie – ich habe nur eine Familie beobachtet – gleich 11 Kinder unter einem Jahr gab”, erzählt er. “Das hat es noch nie vorher gegeben.”
Der Waldmensch
Und dort, während langen Wanderungen in den Bergregenwäldern, hat Hess schliesslich auch entdeckt, dass er sich als Mensch nur im Wald wirklich wohl fühlt. “Möglichst dicht. Das merken Sie auch hier: die Organisation dieses Raumes ist so, dass es Stellen gibt, wo man seitwärts gehen muss”, sagt er lachend.
Doch die Freude fand ein jähes Ende: Zwei Tage, bevor er nach Weihnachten 1985 zur zweiten Saison nach Afrika aufbrechen will, wird Dian Fossey umgebracht, vermutlich von Wilderern. Die Tat ist bis heute nicht geklärt. Das Projekt wird abgebrochen.
« Ich habe immer das Gefühl gehabt, ich müsse beobachten. »
Jörg Hess
In die Breite
Zurück in der Schweiz, forschte Hess weiter mit den Gorillas im Zoo und konnte “Gott sei Dank” dort auch sein Geld verdienen.
“Ich habe über 40 Jahre die gesamte Foto- und Film-Dokumentation gemacht, unendlich viele Führungen geleitet, sehr viele Texte für den Zoo geschrieben, journalistisch über den Zoo gearbeitet.”
Aber auch als Verhaltensforscher sei er im Zoo gefragt gewesen: “Dort bin ich thematisch in praktisch alles hineingekommen”, erzählt er.
Von diesem breiten Interesse war der Schritt nicht mehr so gross, dieses auch mit einer interessierten Leserschaft teilen zu wollen. Es entstanden Tiergeschichten, Bücher, Artikel, Fotoreportagen. Und schliesslich wurden daraus die “Zoologischen Miniaturen”, die diesen Sommer wieder neu aufgelegt wurden.
Die Streifen der Zebras
Das Faszinierende an Tiergeschichten? Auch dazu wüsste Hess hundert Antworten. Doch drei Punkte müssen reichen. “Erstens: Wir Menschen haben eine Geschichte mit Tieren. Wir haben Haustiere.”
Und zweitens habe der Mensch von Beginn an Tiere gejagt. Somit sei eine Nähe zu den Tieren und damit auch die Faszination entstanden. Schliesslich nennt er auch noch die Sozialisierung über Fabeln oder Märchen, in denen Tiere immer wichtige Rollen spielen.
Übrigens: Zebras haben Streifen, um damit die Tsetsefliegen zu verwirren. Dank ihrer Musterung nehmen die Tierseuchen übertragenden Stechfliegen die Zebras schon auf kurze Distanz nicht mehr als Körper wahr, schreibt Jörg Hess. Doch auch das ist wieder nur eine von vielen möglichen Antworten.