Es ist schwierig für einen italienischen Staatsbürger, die Grenze zwischen Italien und Schweiz unbemerkt zu passieren.
Der Steuerstreit zwischen der Schweiz und Italien dauert an. Die grenzüberschreitende italienisch-schweizeriche Organisation “Regio Insubrica” hat den Regierungen der beiden Nachbarländer einen Plan zur Annäherung vorgelegt.
Rückvergütung der Grenzgänger-Steuern, Prinzip der Gegenseitigkeit, freie Zirkulation der Arbeiter, Anerkennung der Berufsdiplome, Ausstrahlung der Sendungen des italienischsprachigen Schweizer Fernsehens in Norditalien: Das sind einige Steine des Anstosses, welche die Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien erschweren.
Dazu kommen die harten Aktionen der letzten Wochen von Italiens Finanzminister Giulio Tremonti zur Eintreibung von im Ausland, insbesondere in der Schweiz angelegtem italienischen Kapital. So etwa Razzien in Schweizer Bankfilialen in Italien, systematische Kamera-Überwachung der Autokennzeichen an der italienisch-schweizerischen Grenze oder die Beschattung italienischer Staatsbürger in Lugano.
Das alles zeigt, wie fragil die Beziehungen zwischen Rom und Bern sind.
Tessiner Aufschrei
Während die Tessiner Politiker die früheren italienischen Steueramnestien von 2001 und 2003 eher ruhig hinnahmen, verurteilen sie (mit Ausnahme der Linken) seit den letzten Wochen die italienischen Methoden nun scharf. Vorher war lediglich die rechtspopulistische Lega dei Ticinesi gegen die “skandalöse Haltung” des Nachbarlandes Sturm gelaufen.
“Die Verhandlungen für ein Doppelbesteuerungs-Abkommen einfrieren”, “die Bezahlung der Gebührenbesteuerung für Grenzgänger blockieren”, Behinderung des Lastwagentransits auf der Nord-Süd-Achse” – das sind einige Tessiner Reaktionen auf die Aktionen Tremontis, während sich die Banktresors in Lugano unweigerlich leeren.
Klima entschärfen
In diesem kriegerischen Klima hat die “Regio Insubrica” dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, Finanzminister Giulio Tremonti, dessen Schweizer Amtskollegen Hans-Rudolf Merz sowie Wirtschaftsministerin Doris Leuthard und anderen führenden Politikern einen Vorschlag zum Dialog unterbreitet. Das fünfseitige Dokument ist eine Art Katalog mit den Differenzen, welche die Beziehungen zwischen dem Tessin und seinem Nachbarn Italien trüben.
Roberto Forte, Sekretär der “Regio Insubrica” und Autor des Plans, führt die Probleme und Missverständnisse auf und liefert Vorschläge (die meisten von einer entwaffnenden Einfachheit) und entsprechende Instrumente zur Beendigung der Streitigkeiten.
“Und dies, ohne neue Ausgaben zu schaffen, mit wenig finanziellen Ressourcen”, betont der Italo-Schweizer Jurist, der seit fünf Jahren an der Spitze der “Regio Insubrica” steht und swohl die Region wie auch seine Ansprechpartner auf beiden Seiten sehr gut kennt.
Grenzüberschreitende Kredite
Während die Tessiner Banken ohnmächtig der Abwanderung von italienischem Kapital zuschauen, schlägt die “Regio Insubrica” eine neue Form der finanziellen Zusammenarbeit zwischen den beiden Nachbarn vor.
Roberto Forte lanciert die Idee “Rahmenbedingungen für die Gewährung von Krediten an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Norditalien – eine der dynamischsten Industrieregionen Europas – durch Tessiner Banken. Jetzt ist es Zeit zu handeln”, sagt er gegenüber swissinfo.ch.
“Das ist zu früh”, meint der Präsident der Tessiner Bankiervereinigung, Claudio Generali. “Solche Veränderungen können nicht von einem Tag auf den anderen verwirklicht werden. Dennoch ist sich der Tessiner Finanzplatz schon seit langem bewusst, dass man mittel- oder langfristig vom Potenzial einer Industrieregion wie der Lombardei profitieren sollte.”
Für Roberto Forte hingegen ist die Stunde des Dialogs gekommen. “Ich sehe, dass man sowohl in der Schweiz wie in Italien alles daran setzt, so weit entfernte Länder wie China zu begreifen,. Wenn es aber darum geht, ein Nachbarland zu verstehen, dann nimmt die Unkenntnis der Institutionen, des Staatssystems und der Mentalität überhand und behindert die Beziehungen”, bedauert der Sekretär der “Regio Insubrica”.
Keine Antwort
Dieses Plädoyer für eine Rückkehr zum Dialog findet im Tessin wenig Gehör, zumindest im Augenblick. Der Aussöhnungsplan von Forte, der am 30 Oktober verschickt wurde, hat bisher weder offizielle noch inoffizielle Reaktionen ausgelöst.
Dafür geht das Wehklagen der Politiker munter weiter. Am letzten Wochenende war es die Tessiner Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die ihre Forderungen auf den Tisch legte. Die CVP verlangt vom Bund 50 Mio. Franken zugunsten des Tessins, um damit die Verluste des Kantons infolge der italienischen Steueramnestie zu lindern.
Massiver Kapitalabzug
Die Nachrichten an der Front der Steueramnestie sind für die Tessiner Banken alarmierend. Laut Luca Soncini, Wirtschaftsprofessor an der Universität der italienischen Schweiz, könnten 50 Mrd. Euro (auf insgesamt 400 Mrd. Euro) aus der Schweiz, vornehmlich aus dem Tessin, abgezogen worden sein, dies bis zum 15. Dezember, dem Datum des Endes der 3. italienischen Steueramnestie (scudo III).
Ein Szenario, das eine von Experten vorausgesagte mögliche Verlängerung der Massnahme nicht berücksichtigt. Angesichts solcher Perspektiven ziehen es die Tessiner Banken vor, zu schweigen, um einen kontraproduktiven Medienrummel zu vermeiden, wie hinter den Kulissen gesagt wird.
Dies alles zeigt, wie wichtig es ist, neue Lösungen zu finden, damit die beiden Grenzregionen neue Synergien in einem besseren Klima entwickeln können